Päpstliche Bannbulle gegen Martin Luther vor 500 Jahren Am 24. Juli jährt sich zum 500. Mal das Datum, an dem Martin Luther von Papst Leo als Ketzer mit einer „Bannbulle“ verdammt wurde. Der Papst ordnete an, die Schriften Martin Luthers zu verbrennen. Als Antwort darauf verfasste Martin Luther seine vielleicht eindrücklichste und bewegendste Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Die Freiheit eines Christenmenschen beschrieb Luther von 500 Jahren so: Niemandem untertan, jedermann untertan! Der Journalist und Kolumnist Heribert Prantl erklärt, was diese Aufforderung Martin Luthers bedeutet. Päpstliche Bannbulle gegen Luther aus: chrismon epd-bild/Matthias Schumann
Herr und Knecht =============== Von Heribert Prantl Exsurge Domine – Erhebe Dich, Herr, und richte Deine Sache: So beginnt die Bannandrohungsbulle des Papstes gegen Martin Luther. Sie wird dann sogleich heftig und deftig: „Ein Wildschwein trachtet danach, Deinen Weinberg zu verwüsten.“ Der Papst war Leo X., der Weinberg war die Kirche und als Zerwühler galt der Professor im Städtchen Wittenberg an der Peripherie des Heiligen Römischen Reiches. Vor 500 Jahren wurde diese Bann-Bulle im Vatikan ausgestellt, am 24. Juli 1520 wurde sie in Rom bekannt gemacht. Der Papst verdammte die Schriften Luthers, befahl deren Verbrennung und forderte Luther auf, binnen sechzig Tagen seine Thesen zu widerrufen – widrigenfalls war er zum Ketzer erklärt und vogelfrei. Die Antwort Luthers darauf gehört zu den großen Schriften der Reformation. Ihr Titel: Von der Freiheit eines Christenmenschen. Wegen dieser Schrift und wegen seines berühmt-trotzigen Auftritts vor dem Reichstag in Worms gilt Luther stolzen Lutheranern als großer Freiheitskämpfer an der Schwelle zur Neuzeit – als ein Wilhelm Tell der Religion, als ein Andreas Hofer wider die römische Kirche. Zum Reformationsjubiläum wurde als reformatorische Essenz auf die Werbematerialien gedruckt: „Einfach frei“. Aber mit der Freiheit bei Luther ist es nicht so ganz einfach. Seine Freiheitsschrift eröffnet Luther nämlich mit einer genialen Dialektik, einem wunderbaren Paradoxon: Ein Christenmensch, so schreibt er, ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch, so fährt er aber dann fort, ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Das ist nur vermeintlich ein eklatanter Widerspruch. In dieser Dialektik spannt sich Luthers Vorstellung von Freiheit auf. Luther verweist gerade nicht auf eine Freiheit, die ungebundene, individuelle und grenzenlose Autonomie bedeutet, in der der Mensch für sich selbst lebt. Frei ist der Mensch für ihn vielmehr dann, wenn er nicht für sich selbst lebt. Dann, so glaubt Luther, lebt Christus im Menschen und treibt ihn, anderen Menschen zu dienen. In diesem Dienst verzichte man aber nicht auf Freiheit, sondern realisiere sie. Freiheit ist für ihn ein ständiges Befreitwerden: von Abhängigkeiten, moralischen Zwängen – und für die Liebe zum Nächsten ——————————————————————————- Mit Luther begründet man also nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit oder die Freiheit als Freiheit des Andersdenkenden. Luther hat gewiss viel erfunden, aber nicht Selbstverwirklichung und nicht die Toleranz, die jeden nach seiner Façon selig werden lässt. Freiheit ist für ihn kein Zustand, in dem man sich befindet. Sie ist auch nicht die Summe von Freiheiten, die man hat. Es gibt für ihn überhaupt keine absolute Freiheit. Sie ist ein ständiges Befreitwerden: von Abhängigkeiten, moralischen Zwängen, kirchlichen und weltlichen Ordnungen und Schuld – und für die Liebe zum Nächsten. Wenn der Mensch nicht Christus als Herrn hat, ist er Beute des Teufels, so glaubt Luther. Für Luther war Gott ein selbstverständliches Gegenüber, mit dem er sprach, rang, bisweilen an ihm verzweifelnd. Das ist heute selbst für die, die sich Christen nennen, nur noch selten so, und der Teufel ist erst recht ein Hirngespinst. Aber das heißt nicht, dass es keine Mächte mehr gäbe, denen sich der säkulare Mensch ausgeliefert fühlt. Aus den Ansprüchen Gottes sind Selbstansprüche geworden. Die Teufeleien heute haben andere Namen: Sie heißen Egoismus, Individualismus, Profitismus, Marktradikalismus, Nationalismus, Rassismus. Die Frage heute ist nicht die nach einem gnädigen Gott, sondern nach gnädigen Verhältnissen in einem immer hemmungsloseren, brutaleren Liberalismus. Dies kann man allerdings mit Luther gut verstehen: Man kann auch Sklave der Freiheit werden. Man kann an einer bindungslosen Autonomie krepieren. Luther würde lachen über heute gängige Selbsterlösungsparolen und Ratgebermantras wie: „Willenskraft ist die stärkste Kraft in Leben und Business“ oder „Du musst nur genug an dich glauben, dann kannst du alles schaffen“. Er würde nicht nur lachen, er würde sagen, all dies „kann auch ein böser Mensch an sich haben und ausüben, ein Blender und Heuchler“. Nicht zu Unrecht ist Luther aber vorgeworfen worden, dass er Freiheit vor allem als eine innere, eine geistliche Freiheit versteht. Der Mensch, so meint Luther, kann auch als niedrigster Sklave Herr über alle Dinge sein: „Was schadet es der Seele, dass der Leib gefangen, krank und matt ist, hungert, dürstet und leidet? Keines dieser Dinge reicht an die Seele heran, sie zu befreien oder zu fangen“, schreibt er. Man möchte heute einen der Fleischarbeiter bei Tönnies dazu hören, ob das stimmt. Luthers eindringliche Unterscheidung zwischen Leib und Geist hat emanzipatorische Kraft entfaltet, sie hat die Gewissen vieler seiner Zeitgenossen davon befreit, vor geistlichen oder weltlichen Ordnungen zu ducken. Aber Luthers Vernachlässigung der ganz materiellen äußeren Freiheit hat auch Emanzipation gehemmt. So radikal wie die aufständischen Bauern wollte er die Befreiung doch nicht. Das ist der Vorwurf der modernen Befreiungstheologie an den Reformator. War Luthers brennende Frage, wie er als Person vor Gott gerecht wird, so ist ihre Frage, wie Gott inmitten schreienden Unrechts der Welt vor den Menschen gerecht wird. Es gibt keine Freiheit ohne Gerechtigkeit. Diese Überzeugung verbindet die Befreiungstheologie mit säkularen Befreiungsbewegungen, die vor hundert Jahren „Brot und Rosen“ verlangten, und mit denen, die heute ausrufen „Black lives matter!“. Luther darf als Freiheitskämpfer gelten wegen der Unerschrockenheit, mit der er sein Leben riskierte, um seinem Gewissen zu folgen. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, dieser Satz ist legendär. Auch wenn man nicht alles glauben kann, was Luther glaubte, kann man glauben, wie Luther glaubte. So war es bei Dietrich Bonhoeffer, so war es bei den Geschwistern Scholl, um Namen aus der Tradition christlicher Freiheit zu nennen. Und so ist es auch bei den kleinen Widerständlern, die Missstände benennen und gegen Unrecht nicht nur im Eigeninteresse anrennen, sei es in Pflege- oder Flüchtlingsheimen. Sie sind freie Menschen, nicht weil sie ungebunden sind; sondern weil sie nicht anders können, als zu tun, was sie tun müssen. Sie sind „Herr über alle Dinge und niemandem untertan“, zugleich „dienstbarer Knecht und jedermann untertan“. Sie leisten Widerstand aus Gewissensgründen. aus: Süddeutsche Zeitung am 11./12 Juli 2020 von Heribert Prantl
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